[Presse] Schaustellertradition auf dem Oktoberfest

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magicfan
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[Presse] Schaustellertradition auf dem Oktoberfest

Beitrag von magicfan » 05.09.2007, 18:33

Es war einmal und ist immer noch ...
... Schaustellertradition auf dem Oktoberfest


Von den rund 200 Schaustellerbetrieben auf der diesjährigen Wiesn haben etwa 90 Prozent ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert. Heute werden viele dieser nostalgischen Fahrgeschäfte nur noch auf dem Oktoberfest aufgebaut, oft von Privatleuten betrieben und verkörpern lebendige Schaustellertradition.

Flohzirkus
Vor über 50 Jahren schlug der Flohzirkus von Familie Mathes zum ersten Mal auf dem Oktoberfest seine Zelte auf. Peter Georg Mathes kommt aus einer al-ten Nürnberger Schausteller-Dynastie, die seit etwa 150 Jahren einen Flohzirkus betreibt. Sein Vater, Peter Mathes, zeigte zum ersten Mal beim Herbstfest 1948 auf der Theresienwiese die Floh-Dressuren. Das Geschäft dürfte in Europa, wenn nicht sogar weltweit, einzigartig sein.

Hexenschaukel
Die Illusionsschaukel, auch „drehbares Haus“ genannt, ist eine der ältesten Jahrmarktsillusionen und wurde 1894 nach einer amerikanischen Idee in Deutschland eingeführt. Bei dieser verblüffenden Täuschung wird der Gleichgewichtssinn gestört, indem der Raum von außen um die Schaukelachse gedreht wird. Einige wenige Exemplare der Hexenschaukel haben sich bis heute auf Jahrmärkten gehalten.

Irrgarten
Diese Belustigungsgeschäfte sind als transportable Unternehmen seit den 1890er Jahren belegt und berühmt für ihre klangvollen Namen wie zum Beispiel „Fluch des Pharao“, „Atlantis“ oder auch „Gaudi in Bavaria“.

Jahrmarktsfotografie
Seit circa 1880 haben sich Berufsfotografen auf das Volksfestgeschäft spezialisiert. 1886 standen auf dem Oktoberfest zwölf Fotografenbuden. Heute können sich die Besucher der Wiesn wahlweise von einem Nostalgie- oder einem Gaudifotografen ablichten lassen; nicht zu vergessen sind die Schnappschuss-Schießer in den Zelten, die Fotos der Bierzeltgäste als Schlüsselanhänger zum Verkauf anbieten.

Kettenflieger
Das zweitälteste Fahrgeschäft auf der Wiesn ist der Kettenflieger Kalb, 1919 von der Berliner Firma Gundelwein und Fischer hergestellt. Er trägt eine Originalbemalung der Dekorationsteile durch den Schaustellermaler Konrad Ochs. Das Fluggeschäft wird heute in dritter Generation von Anna und Hans Martin Kalb betrieben. Die ersten kleinen Kettenflieger dürften um die Jahrhundertwende entstanden sein und standen thematisch in Zusammenhang mit der Entwicklung der Luftfahrt (Zeppelin, Gebrüder Wright, usw.).

Krinoline
Diese Karussellart ist mit Vorläufern aus den 1890er Jahren bekannt, der Name taucht um 1900 auf. Die Konstruktion mit schwankender Plattform wurde lange Zeit per Hand in Schwung gebracht. Erst 1909 brachte ein Sachs-Elektromotor Fahrgeschäfte dieser Art in Fahrt. Karussells wie die Krinoline gehören neben den Schaukeln zu den ersten Fahrgeschäften auf dem Oktoberfest. Noch mit Muskelkraft betrieben wurde die Krinoline, als dieser Karusselltyp 1924 erstmalig auf dem Oktoberfest die Münchner begeisterte. Dieses Karussell kam von der Spree an die Isar und war in den ersten Jahren der Renner unter den Fahrgeschäften. Als um 1937 die Zugspitzbahnen als Neuheit zur gefährlichen Konkurrenz wurden, hatte der Krinoline-Besitzer Michael Großmann eine Idee mit Zukunft. Er modernisierte das Fahrgeschäft mittels elektrischem Antrieb mit Planetengetriebe und Zugfedern-Schwing-Mechanismus. Als zusätzlichen Clou engagierte er eine Blaskapelle, die die Karussellfahrt mit Stimmungsmusik begleitete. Diese Tradition wurde bis heute zur Freude aller Krinoline-Fans vom Enkel Theo Niederländer weitergeführt; mit seinen Kindern Marion und Matthias ist die Kontinuität dieses Fahrgeschäfts mit Kult-Charakter auf der Wiesn gewährleistet.

Pemperlprater
Das älteste Karussell mit Ringelstechen, der Pemperlprater, feiert heuer seine Wiesn-Premiere. Damit wird ein Kleinod mit Ursprung aus der Biedermeierzeit in die Riege der Traditionsbetriebe auf dem Oktoberfest aufgenommen. Den Urprater schuf der Passauer Schuhmacher Engelbert Zirnkilton in den Jahren 1826 bis 1829. Eigenhändig schnitzte er aus Holz 16 Rösser, außer dass alle Hengste waren, glich keines dem anderen, und stellte sie auf ein Bodenkarussell. 1830 kam das Pferdekarussell auf der Passauer Maidult erstmals zum Einsatz und wurde schnell zum beliebten Volksfestvergnügen bis heute: Der Clou ist die Ringelstechvorrichtung. Die außen sitzenden Reiter sind beim Ringelritt mit einem Lederriemen fest angegurtet und versuchen, mit einem Stecher in der Hand den goldenen Ring aus einem Fischkopf aufzuspießen; der Sieger bekommt eine Freifahrt spendiert. Zunächst durch Muskelkraft betrieben, drehte sich das Fahrgeschäft ab 1926 elektrisch. Um 1910 konnten 80 Personen auf 30 Pferdln, zwei Hirschen und in vier Kutschen auf dem Pemperlprater, wie ihn die Passauer liebevoll nannten, ihre Runden drehen. Bis in die 1990er Jahre gehörte der Pemperlprater, als Attraktion auf der Innpromenade zum Pas-sauer Stadtbild; bis 1969 in Besitz der Familie Zirnkilton. Nach mehrmaligen Eigentümerwechseln nahm sich der Passauer Peter Zimmermann 2005 des Biedermeier-Schmuckstücks an und ließ es nicht nur auf den Passauer Dulten, sondern sogar in Florenz und in einem Freizeitpark in Templin gastieren. Seit 2007 hat Zimmermann im VdK-Sozialverband einen veritablen Partner gefunden, um den Bestand des Pemperlprater zu sichern. So restaurierte die Behinderteneinrichtung „Dimetria“ in Straubing in liebevoller Handarbeit das altehrwürdige Rundfahrgeschäft, das trotz elektrischer Beleuchtung und neuer Dachkonstruktion immer noch die Anmutung eines historischen Schaustellerbetriebes behält. Sogar die Mähnen der Holzpferde sind auch heute noch original aus Pferdehaar! „Der Pemperlprater ist kein Museumsstück,“, so VdK-Landesgeschäftsführer Albrecht Engel, „im Gegenteil: Dieses Karussell steht symbolisch für den VdK: generationenübergreifend Werte bewahren und in die Zukunft befördern. Wer könnte das besser repräsentieren als die Kinder, die hier glücklich ihre Runden drehen?“.

Revue der Illusionen

Gaby Reutlingers Schaubühne zeigt im Programm einige der klassischen alten Illusionsnummer, die es bei reisenden Varietés schon vor hundert Jahren gegeben hat: „Die Frau ohne Unterleib“, Die Frau ohne Kopf“, „Die schwebende Jungfrau“ und „Der sprechende Kopf“ verblüffen heute wie damals die Zuschauer. Dieses Illusionstheater ist wohl das letzte seiner Art in Europa. Immer auf der Suche nach weiteren historischen Illusionen ist es ein besonders Anliegen dieser Unternehmerin, die Tradition dieser Jahrmarktsunterhaltung hochzuhalten. In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts tauchten auf Volksfesten die Varietétheater auf. Sie unterhielten das Publikum mit einem bunten Nummernprogramm. Es traten auf: Tänzer, Sänger, Puppenspieler, Akrobaten, Magier mit Kunststücken durch optische, chemische oder mechanische Effekten. Im 20.Jahrhundert nimmt die Beliebtheit der Schaustellungen mit dem Aufschwung der Fahrgeschäftindustrie und dem Aufkommen von Film und Rundfunk immer mehr ab

Riesenräder
Vorgänger des Riesenrads ist die Russische Schaukel mit vertikalen Kreisbewegungen, die im 18. Jahrhundert vor allem in Russland (!) und im Vorderen Orient (frühester Beleg 1620, Türkei) weit verbreitet war. Transportable russische Schaukeln, auch „Russenräder“ genannt oder „pleasure wheels“ (am.), gab es ab 1880/90 mit einer Maximalhöhe von zwölf Metern und sechs bis zwölf Gondeln. Das erste Riesenrad, wie wir es kennen, wurde anlässlich der Weltausstellung 1893 in Chicago errichtet; das „ferris wheel“ war eine stationäre Stahlkonstruktion von 300 Metern Höhe. Von den feststehenden Nachbauten in London (1894), Wien (1897) und Paris (1898) blieb nur das Riesenrad im Wiener Prater übrig. Erst ab 1960 wurden die heutigen Riesenräder aus Stahl entwickelt. In Deutschland werden die Riesenräder von einer kleinen Gruppe von Schaustellerfamilien betrieben und die Konkurrenz trieb diese Riesenräder in die Höhe. Das Münchner Riesenrad der Familie Willenborg, 1979 von der Firma Schwarzkopf erbaut, gehört mit 50 Metern zu den schönsten.

Russenrad
Das kleine Riesenrad mit der kunstvollen alten Noten-Konzertorgel der Gebrüder Bruder aus Waldkirch im Breisgau ist Stammgast auf der Wiesn. 1925 beauftragte Josef Esterl die Karussellfabrik Gundelwein in Wutha/ Thüringen mit dem Bau einer „Russischen Schaukel“, wie das Riesen- oder Russenrad damals noch genannt wurde (siehe auch „Riesenrad“). Im Juni 1925 nahm Esterl sein neues Fahrgeschäft in Betrieb. Ursprünglich
hatte es eine geschnitzte Fassade mit Malereien, die in den 1950er Jahren gegen die heutige ausgewechselt wurde. Bis um 1960 galt es mit 12 Gondeln und einer Höhe von 14 Metern als das größte transportable Riesenrad Süddeutschlands. In dritter Generation führen Herbert Koppenhöfer und seine Schwester Edith Simon, die Enkel des Josef Esterl, das Familiengeschäft fort.

Altbairisches Scherbenschießen
Die ersten Schießgeschäfte hielten als Schießstände um 1840 auf Volksfesten Einzug. In den 1870er Jahren wurden die ersten Schießbuden aufgebaut, heute stehen moderne Schießwagen zum Testen der Zielsicherheit bereit.
In den 1880er Jahren kam das Schießen auf Objekte aus Ton auf. Tabakspfeifen, Tierfiguren, kleine Scheiben in Rund- oder Sternchenform
(Flattern) oder Tontöpfchen (Scherben) waren die Artikel, die die Schießbudenbesitzer damals fast ausschließlich von Tonwaren- oder Tonpfeifenfabriken aus dem Westerwälder Kannenbäckerland bezogen.
Die vertraute Form des Schießens auf bunte Kunstblumen oder andere Treffer wurde erst in den 1930er Jahren eingeführt. Was damals auf Tonröhrchen zum Abschuss frei gegeben wurde, steckt heute meistens auf Plastiksteckern. Auf der Wiesn ist es aber möglich, das besondere Schießgefühl auf Ton kennen zu lernen:
Um sich selbständig machen zu können, baute Mary Schröder (1899 - 1975) in den letzten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg heimlich eine Schießbude: Mit dem „Altbairischen Scherbenschießen“ ging sie dann auf die erste Münchner Wiesn nach dem Krieg. 1965 wurde die alte Bude TÜV-gerecht modernisiert, ohne den Grundbau anzutasten. Das Erscheinungsbild blieb bis heute bestehen, wie alte Fotografien der Schießbude über die Jahre belegen. Die Familientradition führt die Enkelin, Ursula-Josy Steinker fort. Sie übernahm 1994 von ihrer Mutter Lilo Steinker-Schröder das Geschäft, das nur auf der Wiesn aufgebaut wird. Und hier kann geschossen werden wie in früheren Zeiten – auf original Tonröhrchen und -töpfchen, den sogenannten „Scherben“.

Schichtl
1871 rekommandierte Papa (Johann) Schichtl, Besitzer des „Original-Zauber-Spezialitäten-Theaters“, seine „Extra-Galavorstellung mit noch nie dagewesenen Sensationen“ mit den Worten „Auf geht’s beim Schichtl“. Im legendären Wiesn-Variété, das Zauberei, Puppenspiel, Kuriositäten und vieles mehr dem staunenden Publikum bot, wird auch heute noch die „Enthauptung einer lebendigen Person mittels Guillotine“ zelebriert. Ein weiterer Höhepunkt des bunten Programms war der traditionelle Schmetterlingstanz der Elvira.

Schiffschaukel
Um 1890 kam die heute gebräuchliche Form der Schiffschaukel für zwei Personen auf. Bereits im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert sind Vorläufer dieses Fahrgeschäfts bezeugt, beispielsweise im Wiener Prater. Im 19. Jahr-hundert war die Schaukel ein Familiengeschäft. Die Schiffschaukeln sind heute die einzigen Fahrgeschäfte, bei denen der Fahrgast die Bewegung erzeugt; der Reiz der eigenen Aktivität ist Grund der fortdauernden Beliebtheit dieser nostalgisch anmutenden Attraktion. Als Fortentwicklungen gelten die Über-schlag- und Gesellschaftsschaukeln der 30er Jahre des 20.Jahrhunderts bis hin zum „Fliegenden Holländer“ der 80er Jahre.

Teufelsrad
Dieses Belustigungsgeschäft, auch „Taifun“ oder „Freudenrad“ genannt, kam um 1910 auf. Es ist ein Geschicklichkeitstest für die Mitfahrer und dient der Schadenfreude der Zuschauer. Der Erfolg eines Teufelsrad steht und fällt mit dem Rekommandeur, der das Publikum animiert und die „Mitwirkenden“ kommentiert. Schon Karl Valentin und Liesl Karlstadt haben sich bei Feldl’s Teufelsrad auf der Wiesn amüsiert, das nur noch auf dem Oktoberfest aufgebaut wird.

Toboggan
Rutschbahnen gab es seit dem frühen 19. Jahrhundert. 1906 baute der Badener Anton Bausch nach Pariser Vorbild den wahrscheinlich ersten deutschen Toboggan, eine ursprünglich amerikanische Turmrutschbahn. „Toboggan“ stammt aus der Sprache der kanadischen Algonkin-Indianer, und bezeichnet einen leichten Schneeschlitten. Auf dem Oktoberfest 1908 standen drei dieser personalaufwendigen Toboggans zum Vergnügen der Zuschauer wie der Rutschenden bereit: die Turmauffahrt der Kunden mittels Förderband entbehrte nicht der Komik, die sanfte Rutschfahrt machte Spaß. Dem ist noch heute so auf der Wiesn und dies einmalig in Deutschland. Für die Reise ist dieses Traditionsgeschäft von Astrid Konrad nicht mehr rentabel.

Wurfbuden
1818 stellte der Münchner Wirt Anton Gruber zur Belustigung seiner Wiesn-Gäste u.a. eine “Taubenscheibe“ auf. Es handelte sich dabei um einen stationären Wurfstand, auch „Taubenwerfen“ genannt, wie er bereits Anfang des 19. Jahrhunderts auf dem Wiener Prater belegt ist. Auf den Volksfesten hat es das Taubenwerfen bis in die 1950er Jahre gegeben. In den 1880er Jahren tauchten in den Beschickerlisten Platten-, Messer-. Ring- und Ballwerfen auf.
Bereits 1910 ist die Ballwurfbude „Runter mit dem Zylinder“ belegt, die seit 1957 von der Familie Gaukler-Michel betrieben wird. Mit großer Sorgfalt wird die historische Wurfbude nur noch zum Oktoberfest aufgebaut, sie ist nicht mehr reisefähig. Eine Garnitur der lustigen Holzköpfe mit den schwarzen Zylinderhüten, die es mit dem Lederball herunterzuwerfen gilt, befindet sich bereits in der Schaustellersammlung des Münchner Stadtmuseums. Alte Stammkunden erzählen, dass sie als Kinder die Hüte auf die Köpf setzten durften und damit sich ein kleines Taschengeld verdienten. Auch heute noch lieben kleine Wiesn-Besucher diese Wurfbude, die es wahrscheinlich woanders in der Schaustellerwelt nicht mehr gibt. Mit dieser Einzigartigkeit trägt das Geschäft und nicht zuletzt Annemarie Neumeier mit ihrer Familie, die Nachfahren der Familie Gaukler-Michel, zur besonderen Mischung des Oktoberfest bei.


Quelle: www.muenchen.de
Auf geht`s in die Volksfest-Saison 2018! :-)

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